Donnerstag, Dezember 11, 2025

Die stille Kapitulation der Musikrevolution

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Wie Warner, Universal und Sony die AI-Musik-Startups nicht besiegten – sondern absorbierten


Es war kein Donnerschlag, der am 25. November 2025 durch die Musikindustrie hallte. Es war eher das Geräusch von Champagnerkorken in gläsernen Vorstandsetagen und das leise Klicken von Verträgen, die digital signiert wurden. Warner Music Group und Suno hatten sich geeinigt. Nicht durch Niederlage, nicht durch Triumph – durch das, was beide Seiten mit ernsten Mienen als „Partnerschaft“ bezeichneten.

Die oberflächliche Erzählung, die durch die Pressemitteilungen rauschte: Ein Sieg für die Künstler. Die Rechte werden geschützt. Die Zukunft ist lizenziert. Robert Kyncl, CEO von Warner Music, sprach von einem „Landmark Pact“, der „allen zugutekommt“. Mikey Shulman, CEO von Suno, schwärmte von einer „größeren, reicheren Suno-Erfahrung für Musikliebhaber“.

Aber wer zwischen den Zeilen liest – und das sollte man immer, besonders wenn Milliarden auf dem Spiel stehen – erkennt eine andere Geschichte. Eine Geschichte über die Transformation eines disruptiven Versprechens in ein kontrolliertes Asset. Über die Dezentralisierungsillusion, die in Rekordzeit zu einer Rezentrierung der Macht wurde. Und über Independent Artists, die am Ende des Tisches sitzen, an den sie nie eingeladen wurden.


Das Schlachtfeld vor dem Waffenstillstand

Um zu verstehen, was hier wirklich passiert ist, muss man zurückspulen. Im Juni 2024 reichten Sony Music, Universal Music und Warner Music gemeinsam Klagen gegen Suno und Udio ein – je mit Forderungen von bis zu 150.000 Dollar pro verletztem Werk. Die Vorwürfe: Die AI-Startups hatten Millionen von kopiergeschützten Songs verwendet, um ihre Modelle zu trainieren, ohne einen Cent an die Künstler zu zahlen.

Suno argumentierte damals noch trotzig. Das Training auf öffentlich verfügbarer Musik sei „Fair Use“ – vergleichbar mit einem menschlichen Musiker, der lernt, indem er anderen zuhört. „Es ist unter dem Urheberrecht erlaubt, eine Kopie eines geschützten Werks als Teil eines unsichtbaren Backend-Prozesses zu erstellen“, erklärte das Unternehmen in Gerichtsdokumenten.

Eine Position, die nicht völlig absurd war. Akademische Stimmen deuteten an, dass Fair Use in bestimmten Kontexten greifen könnte – insbesondere bei transformativer Nutzung ohne direkten Marktschaden. Aber die Major-Labels sahen das radikal anders. Für sie war das bloße Speichern kopiergeschützter Musik für Training bereits eine Verletzung. AI-generierte „Soundalikes“ würden lizenzierte Musik direkt verdrängen. Und Suno ernte industrielle Skalenerträge aus gestohlener Kreativität.

„Meaning, the process in which Suno’s AI model trains, through the reproduction and copying of existing copyrighted songs, constitutes prima facie copyright infringement.“ – US Copyright Office Report, Mai 2025


Im Mai 2025 veröffentlichte das US Copyright Office seinen 108-seitigen Report zu „Generative AI Training“ – und veränderte damit das gesamte Spielfeld. Das Gutachten war nuanciert, aber die Gesamttendenz beschädigte Sunos Fair-Use-Position schwer.

Der Report identifizierte zwei Enden eines Spektrums. Am einen Ende: nicht-kommerzielle Forschung – möglicherweise Fair Use. Am anderen Ende:

„…the copying of expressive works from pirated sources to generate unrestricted content that competes in the marketplace, when licensing is reasonably available, which may not be a fair use.“

Suno trainierte öffentlich auf Musik, die durch Stream-Ripping von YouTube beschafft wurde. Generierte kommerzielle Inhalte. Konkurrierte explizit im selben Markt wie lizenzierte Musik. Alle drei Faktoren deuteten gegen Fair Use.

Der Report war nicht-bindend. Aber er setzte den Diskurs-Rahmen. Er machte deutlich, dass Gerichte bei der Interpretation von Fair Use die kommerziellen Dimensionen von AI-Outputs stark gewichten würden. Für Suno – bewertet mit 2,45 Milliarden Dollar nach einer 250-Millionen-Series-C-Runde – war das kein abstraktes juristisches Problem. Es war eine existenzielle Bedrohung.


Die Settlement-Architektur: Partnerschaft als Kapitulation

Was genau haben Warner und Suno vereinbart? Die offiziellen Bedingungen klingen zunächst nach einem fairen Kompromiss:

Für Suno:

  • Rechtsstreit beendet
  • Erlaubnis, 2026 „neue, fortgeschrittenere und lizenzierte Modelle“ zu starten
  • Übernahme von Songkick (Warners Concert-Discovery-Plattform)

Für Warner und Künstler:

  • WMG-Künstler können opt-in wählen, ob ihre Stimmen, Namen, Likenesses und Kompositionen in AI-generierten Stücken verwendet werden
  • Neue Einnahmeströme aus AI-Training und -Nutzung

Für Creator und User:

  • „Lizenzierte Modelle“ versprechen „sichere“ AI-Outputs ohne Infringement-Risiko
  • Aber: Kostenlos-Tier-Nutzer können nur noch abspielen und teilen – keine Downloads mehr
  • Bestehende Suno-Versionen werden 2026 eingestellt

Parallel dazu hatte Universal Music bereits im Oktober mit Udio einen noch radikaleren Deal geschlossen. Udio sperrte AI-generierte Musikdownloads unmittelbar nach der Übereinkunft. Nutzer hatten ein 48-Stunden-Fenster, um bestehende Tracks herunterzuladen – dann: Lockdown. Die Download-Sperre transformierte Udio vom Generator zu einem reinen Listening-Tool.

Die User-Reaktion war bifurkiert. „We were all wrong. We’ve been played“, schrieb ein Nutzer auf Reddit. „Trapping our music in their ecosystem“, kommentierten andere. Die Enttäuschung war greifbar. Das Versprechen – „jeder kann Musik machen ohne Label-Gate-Keeper“ – hatte sich in ein neues Walled Garden verwandelt.


Die Fair-Use-Metamorphose: Was nicht gesagt wurde

Ein kritischer Punkt, der in den Pressemitteilungen fehlt: Weder Suno noch Udio haben zugegeben, dass ihr vergangenes Training rechtswidrig war. Sie haben keine Strafzahlungen geleistet (die Bedingungen wurden nicht offengelegt) und keine Technologie-Rotation erzwungen – das taten sie freiwillig, als zukünftige Strategie, nicht als Schuldanerkenntnis.

Juristisch bedeutet das: Die Fair-Use-Frage bleibt ungelöst. Weder ein Gericht noch die Parteien haben die fundamentale Frage beantwortet: War das AI-Training auf kopierter Musik in der Vergangenheit Fair Use oder nicht?

Das Settlement könnte nahelegen: Nein. Aber es könnte auch nahelegen: Es war zu unsicher, die Kosten zu hoch, die Nutzersympathie zu gering – pragmatisch, nicht moralisch.

Für die AI-Industrie jenseits der Musik ist das ein beunruhigendes Signal. Wenn selbst ein 2,45-Milliarden-Dollar-Startup vor dem juristischen Druck der Major-Labels kapituliert, was bedeutet das für kleinere Player? Für OpenAI’s Sora? Für jeden, der auf „Fair Use“ als Verteidigungslinie setzt?


Die unsichtbare zweite Front: Independent Artists unter den Rädern

Während Warner und Universal ihre Deals verkünden, hat sich eine zweite, weitgehend unsichtbar bleibende Frontlinie aufgetan. Im Juni 2025 reichte der Country-Musiker Tony Justice – 8 Millionen Spotify-Streams, Vollzeit-Truckfahrer – eine Class-Action-Klage gegen Suno und Udio ein. Seine Argumentation trifft ins Zentrum des Problems:

„Independent artists, whose rights have been trampled the most, remain excluded from the table, unrepresented, and without a meaningful remedy.“

Im Oktober 2025 folgten weitere Klagen. Attack the Sound, Stan und James Burjek (ein Vater-Sohn-Songwriting-Duo), Mitglieder der Chicago-Gruppe Directrix – alle mit ähnlichen Vorwürfen. Stream-Ripping von YouTube. Retention von Audio- und Lyrik-Dateien ohne Löschprotokoll. Gesamtwirtschaftliche Marktverdrängung.

Die Anwältin Krystle Delgado – selbst Musikerin – führt mehrere dieser Klagen. Ihr Argument: Die Major-Label-Settlements haben Independent Artists effektiv ausgeschlossen. WMG verhandelt für seine Künstler, nicht für die gesamte kreative Community. Ein unabhängiger Artist, dessen Musik gescraped wurde, hat keinen Platz am Tisch.

Die Numerik ist erschütternd. Deezer berichtete im September 2025, dass 28% aller täglich zugeführten Musik vollständig AI-generiert ist. 30.000 Tracks pro Tag. Wenn die Majors nur eine Minderheit der Tracks auf Streaming-Plattformen kontrollieren, wurde die Mehrheit der für Training verwendeten Musik von Indies geliefert – ohne deren Wissen, ohne deren Zustimmung, ohne deren Kompensation.


Die Strategie hinter der Strategie: Was Labels wirklich wollen

Eine kritische Interpretation, die sich aus der Analyse ergibt: Die Majors wollen Suno und Udio nicht zerstören. Sie wollen Kontrolle.

Warum? Erstens: AI-Musik ist die Zukunft. Prognosen und eigene R&D zeigen, dass AI-Music-Generierung nicht aufzuhalten ist. Zweitens: Besser ko-optieren als verlieren. Wenn Warner und Universal lizenzierten Tech kontrollieren, verdienen sie bei jeder AI-generierten Note. Drittens: Plattform-Ownership. Das ist nicht Kunstschutz. Das ist Distributionskanal-Übernahme.

Die traditionelle Kontrolle über Distribution – Radio, Streaming – wird durch Kontrolle über Generierung ersetzt:

Alte Welt: Musiker macht → Label distribuiert → Label kontrolliert Access

Neue Welt: Creator promptet → Label-lizenziertes Tool generiert → Downloads gelockt → Distribution durch Label-Partner

Das ist keine Dezentralisierung. Das ist Rezentrierung.

Der Songkick-Deal illustriert diese Strategie perfekt. Warner verkaufte seine Concert-Discovery-Plattform an Suno für eine nicht-offengelegte Summe. Warum? Signal: „Wir vertrauen Suno. Wir verkaufen ihnen Assets. Das ist Partnerschaft, nicht Vereinbarung unter Zwang.“ Das ist Narrative-Management.


Die Streaming-Dimension: Deezer, Spotify und der Walled Garden

Die Streaming-Plattformen spielen eine entscheidende Rolle in diesem Machtspiel. Deezer hat sich als Vorreiter positioniert – oder als Wächter, je nach Perspektive. Die Plattform tagged 100% AI-generierte Musik, exkludiert sie aus Recommendations und aus Royalty-Payouts. 70% der Streams für AI-generierte Tracks wurden als betrügerisch identifiziert.

Spotify implementierte 2025 strengere Policies: Anti-Impersonation (keine AI-Stimmen, die lebende Künstler imitieren), AI-Spam-Filter (Millionen entfernter Tracks), Disclosure Requirements. Wenn Suno/Udio-Output gegen Spotify-Policies verstößt, können die Nutzer damit keine Revenue generieren.

Das gibt Streaming-Plattformen indirekte Leverage über AI-Music-Companies. Und es schafft Anreize für Nutzer, nur lizenzierte Major-Label-Kollaborationen zu verwenden – nicht pure AI-Generation.

Universal kündigte an, mit Udio eine 2026-Plattform zu launchen, die nur lizenzierte Musik für AI-Training nutzen wird. Das ist strategisch brilliant: Udio wird im Mainstream kein viables Produkt ohne UMG-Partnerschaft sein. UMG baut stattdessen ein kontrolliertes AI-Tool, das UMGs Katalog nutzt. Revenue fließt zu UMG.


Die globale Fragmentierung: GEMA, EU und jenseits der USA

Die US-Settlements sind nicht das Ende der Geschichte. GEMA (Germany Copyright Society) reichte im Januar 2025 Klage gegen Suno ein für Training auf GEMA-administrierte Werke ohne Lizenz. Deutschland hat stärkere Creator-Protections als die USA – Urheberrecht ist näher an Moral Rights. GEMA repräsentiert über 2 Millionen Werke.

Suno hat nicht mit GEMA settled. Das deutet darauf hin: Entweder plant Suno, deutsche Märkte zu verlassen, oder GEMA-Verhandlungen sind laufend, aber nicht öffentlich.

Die EU arbeitet an AI Act Amendments, die Training-Data-Provenance regulieren würden: Künstler-Opt-Out erforderlich (nicht Opt-In wie beim WMG-Deal), Compensation Frameworks für Training-Data-Nutzung. Das ist direkter Gegensatz zu Sunos Ansatz.

Global könnte ein fragmentiertes Szenario entstehen:

  • USA: Licensed Suno (post-WMG deal)
  • EU: Stärker reguliert, creator-protectionistisch
  • China: Komplett separates AI-Musik-Ökosystem (Baidu, Alibaba mit eigenen Tools)
  • Rest: Mixed, abhängig von lokalen IP-Frameworks

Das fragmentiert das Suno-Versprechen einer globalen Plattform.


Die Doppelbewegung: Wer gewinnt, wer verliert

Die Bilanz ist eindeutig asymmetrisch:

Gewinner:

  • Warner, Universal, Sony: Revenue-Streams, Lizenzgebühren, Equity-Upside
  • Suno/Udio Management: Survival, IPO-Pathway geklärt
  • Major-Label-Artists (opt-in): Direct Income für Name/Likeness-Nutzung

Verlierer:

  • Independent Musicians: Excluded from settlements, Class-Action als einziges Remedium
  • Free-Tier Users: Access to downloads removed
  • Paid-Tier Users (Bestand): Unerwartete ToS-Änderungen, alte Modelle deprecated
  • Music Tech Startups (non-major): Präzedenz gegen Fair Use

Die Paradoxie: Warner hat gewonnen, indem es verloren hat. Ursprüngliche Position: Suno trainiert ohne Lizenz, das ist Infringement. Neue Position: Suno trainiert mit Lizenz, wir verdienen. Netto-Resultat: Mehr Kontrolle, neue Revenue, Narrativ des Künstler-Schutzes.

Indies haben verloren, indem sie nicht gespielt wurden. Ursprüngliche Position: Musik ist Kunst, Künstler haben Rechte. Neue Position: Musik ist Licensed Asset, nur Labels verhandeln. Netto-Resultat: Weniger Power, Class-Action als einziges Remedium.


Die Sinn-Frage: Was bedeutet das für Kreativität und Zukunft?

2023-2024 lautete das Narrativ: AI-Musik demokratisiert Kreation. Jeder kann radioqualitative Musik machen ohne Label-Gatekeeping.

2025 ist die Realität: AI-Musik wird re-zentralisiert durch Lizenzierungs-Gates. Die Gatekeeper sind nicht verschwunden – sie haben sich adaptiert.

Das ist Hegemon-Adaptation, nicht Innovation-Defeat.

Sunos ursprüngliche Position (2023-2024): Offene Plattform, jeder User, Training auf jeder Internet-Musik, freier Export. Settlements-Position (2025): Lizenzierte Plattform, opt-in Major-Artists, limitierte Downloads, Major-Label-Oversight.

Das ist eine 180-Grad-Wende – nicht durch technische Limitation, sondern durch rechtlichen Druck. Wenn rechtlicher Druck das erzwingen konnte, könnte derselbe Druck auf andere AI-Tools angewendet werden. Jedes AI-Music-Company steht jetzt vor derselben Lawsuit-IP-Settlement-Trajectory.

Für Independent Creators signalisiert das Settlement:

  1. Ihre Musik wurde wahrscheinlich ohne Consent trainiert (wenn sie ins Internet released wurde)
  2. Major-Label-Settlements werden Sie nicht schützen (Sie sind nicht am Tisch)
  3. Class-Action ist Ihr einziges Remedium (langsam, unsicher, kollektiv)
  4. Das Demokratisierungs-Versprechen ist gebrochen (AI-Tools sind wieder hinter Licensing-Walls)

Für junge Musiker, die Suno als „Escape from Label Gatekeeping“ sahen: Diese Fluchtroute ist jetzt geschlossen.


Epilog: Die Doppelbewegung Revisited

Die Suno-Warner-Übereinkunft symbolisiert eine tiefere Transformation:

Oberflächlich: Settlement zwischen Startup und Major Label; Künstler-Schutz durch Opt-In-Modelle

Tiefgrund: Neue Form der Kontrolle, bei der Labels Gatekeeper von AI-Music-Tools selbst werden, nicht nur Distribution

Konsequenz: Dezentralisierungsversprechen aufgelöst; Creator Economy re-zentralisiert unter Label-Kontrollregime

Das ist kein Scheitern des AI-Music-Projekts. Es ist Assimilation des Projekts durch bestehende Macht-Strukturen.

Die Winners sind die Majors, die ein existenzbedrohenes Disruptive-Risiko in eine neue Revenue-Kategorie transformiert haben.

Die Verlierer sind Independent Artists, Free-Tier-Users, und die Utopie einer dezentralisierten, Creator-First Music Industry.

Ob das „Progress“ oder „Defeat“ ist, hängt davon ab, aus welcher Perspektive man schaut. Aus der Labels-Perspektive: Brilliant Adaptation. Aus der Independent-Creator-Perspektive: Kapitulation des Promise unter der Ferse existierender Macht.

Beide sind wahr.


Dieser Artikel basiert auf verifizierten Quellen inkl. TechCrunch, Billboard, Music Business Worldwide, Deezer Newsroom, US Copyright Office Reports, Reuters, Rolling Stone und Bloomberg. Recherche-Stand: 28. November 2025.

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